
In Münster und Altheim gibt es nun acht Orte, an denen insgesamt 21 Stolpersteine des international bekannten Künstlers und Bildhauers Gunter Demnig an die Schicksale von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern erinnern, die in der NS-Zeit vertrieben, verfolgt und ermordet wurden. Demnig verlegte die Messingtafeln mit Inschriften, die er nahtlos in Gehwege einarbeitet, persönlich. Sie werden in der Regel am letzten frei gewählten Wohnort von Opfern der Nazidiktatur platziert, damit ihr Andenken nicht in Vergessenheit gerät – 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges ist dieses Gedenken wichtiger und aktueller denn je. Stolpersteine sind dauerhafte Zeichen der Erinnerungskultur. Sie sollen nicht zuletzt auch darauf aufmerksam machen, wozu Ausgrenzung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Dehumanisierung führen können und sind eine Mahnung für die Zukunft.
Die 14-köpfige Arbeitsgruppe bestehend aus Patricia Bombala, Gerhard Bonifer-Dörr, Gerald Frank, Edmund Galli, Peter Hartmann, Rosi Haus, Alexandra und Frank Henkelmann, Silvana Kamutzki, Iris Petry, Hans-Peter Schmücker, Jan Stemme und Ernst-Peter Winter hat in intensiven Nachforschungen eineinhalb Jahre lang die Lebens- und Leidenswege der Menschen recherchiert, nach Angehörigen und Nachfahren gesucht und die umfangreichen Daten aufgearbeitet. Die Gründung der AG Stolpersteine geht auf einen einstimmigen Beschluss der Gemeindevertretung zurück.
Über 100 Besucher beim Vortrag im Sitzungssaal
Bereits am Samstagabend hielt Gunter Demnig einen Vortrag im Sitzungssaal des Rathauses zur Entstehungsgeschichte der Stolpersteine, die er seit Anfang der neunziger Jahre in ganz Europa verlegt. Mit rund 100.000 Steinen in über 30 Ländern haben sich die Stolpersteine zum größten dezentralen Kunstprojekt der Welt entwickelt. Über 100 Besucherinnen und Besucher lauschten Demnigs Ausführungen gebannt. “Die Stolpersteine sind mein Leben geworden”, blickte der 77-Jährige zurück, der in West-Berlin aufgewachsen ist und schon als Student mit groß angelegten Kunstaktionen im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam machte. Die beste Definition zum Sinn und Zweck der Stolpersteine stamme aber gar nicht von ihm selbst, sondern von einem Schüler, mit dem er mal ins Gespräch gekommen war, erzählte Demnig. Der habe nämlich gesagt: “Man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.” Musikalisch begleitet wurde der Abend von der Band “Ora Blu”.
Am Sonntagvormittag war es dann endlich so weit: Beginnend in der Altheimer Hauptstraße 4 verlegte der Künstler die Stolpersteine eigenhändig. Der gemeindliche Bauhof hatte die Stellen zuvor passgenau vorbereitet. Mitglieder der AG trugen während der Verlegung die Lebens- und Leidenswege der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger vor, die von den Nazis verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Ihre Häuser wurden häufig geplündert. Nur manchen gelang die Flucht. Der einzige noch Überlebende ist Kurt Simon (93), der als Kind aus Münster floh und heute in Israel lebt. Er konnte zwar nicht persönlich zur Verlegung anreisen, die AG führte aber vorab ein Videotelefonat mit ihm.
Alle Interessierten sind herzlich dazu eingeladen, sich die frisch verlegten Stolpersteine anzuschauen. Übrigens ist es auch vom Künstler ausdrücklich erwünscht, darüber zu laufen, nicht außen herum: “Die Erinnerung wird durchs Drüberlaufen blank poliert”, betonte Demnig.
Altheim, Hauptstr. 4 (1 Stein)
Altheim, Hauptstr. 54 (3 Steine)
Münster, Dammstr. 28 (1 Stein)
Münster, Hintergasse 75 (1 Stein)
Münster, Schulstr. 16 (5 Steine)
Münster, Schulstr. 8 (3 Steine)
Münster, Frankfurter Str. 25 (5 Steine)
Münster, Borngasse 2 (2 Steine)
Auch Rahmenprogramm ein voller Erfolg
Thematisch umrahmt wurde die Stolperstein-Verlegung von zwei Ausstellungen. Das ARThaus Altheim zeigte mit “Unsere Stolpersteine – Interview – Geschichte – Dokumentation” Hintergrundinformationen zu den Menschen, an die erinnert wird. Auch Ausschnitte aus dem Videotelefonat mit Kurt Simon wurden präsentiert. Am Sonntagnachmittag wurde im Museum an der Mühle des Heimat- und Geschichtsvereins dann noch die Kunstausstellung “Demokratie – verletzlich – unersetzlich” eröffnet. Zu sehen sind Werke von Elke Bergerin, Karin Kück, Katja Leers-Farr, Helmut Burghardt, Christoph Ciolek, Wolfgang Schulz, Hans-Peter Schmücker und Jürgen Wolff, die sich mit der Zerbrechlichkeit der Demokratie auseinandersetzen – ein Thema, das aktueller kaum sein könnte. Diese Ausstellung ist auch am kommenden Sonntag, 13. April noch einmal von 14 bis 17 Uhr zu sehen.
Dank an die Spenderinnen und Spender
“Die Verlegung der Stolpersteine wäre ohne die Unterstützung von großzügigen Spenderinnen und Spendern nicht möglich gewesen”, betont Bürgermeister Joachim Schledt. Denn das Projekt ist komplett spendenfinanziert. Die Gemeinde Münster und die AG Stolpersteine bedanken sich herzlich für die Geldzuwendungen von (alphabetische Reihenfolge):
Gerhard Bonifer-Dörr und Maria Dörr
Bündnis 90 Die Grünen OV Münster
Bürgerstiftung für Münster
Peter Bell und Maria Grimm-Bell
CDU OV Münster
Chor St. Sebastian Eppertshausen
Werner Ellermann
Kai Herd und Christina Ellermann
Ev. Martinsgemeinde Münster
FDP OV Münster
Edmund Galli
Helmut und Marianne Gasper
Elisabeth Happel
Paula Haus
Roswitha Paula Haus
Sandra Pereira Heckwolf
Heimat- und Geschichtsverein Münster e.V.
Wolfgang Huther
Bernd Georg Heppenheimer
Susan Höhner
Maria Hundegger
Gabriele Johannsen
Brigitte und Walter Kamutzki
Christiane und Wolfgang Kleinheinz
Veronika Löbig
Jonas Löffelbein
Helga Müller-Lenz
Max Petermann
Iris Petry
Michael Roßkopf
Burkhard Rothfuchs
Monika Schneider und Thomas Roßkopf
Alfons und Helena Schneider
Monika Schmücker
Jacqueline Schramek
Jörg Schroeter
Familie Simon
Sparkasse Dieburg
SPD OV Münster
Katharina Thomas und Holger Wehage
TV1898 Münster e.V.
… sowie weiteren Spenderinnen und Spendern, die anonym bleiben möchten.
Bildunterschrift: Gunter Demnig bei der Arbeit in Münster und Altheim. Fotos: GM/Meike Mittmeyer-Riehl