Interview mit Bürgermeister Schledt: „Wir investieren in diesem Jahr bewusst so viel in die Vereinsförderung“

14.06.2023

- Kategorien: Leben in Münster,
In Münster werden 2023 einige Großprojekte angepackt. Fotos: GM/Meike Mittmeyer-Riehl

In diesem Jahr geht Münster einige Großprojekte an: Ob umfassende Straßensanierungen, Ausbau der Kinderbetreuung, Digitalisierung der Verwaltung oder Aufstockung der Kläranlage – überall im Ort tut sich etwas. Im Interview schildert Bürgermeister Joachim Schledt, wie diese Herausforderung angesichts der angespannten Finanzlage gelingen, warum Münster die freiwilligen Leistungen dennoch nicht gekürzt hat und wo der Handlungsspielraum einer Kommune endet.

Das Interview führte Meike Mittmeyer-Riehl

Herr Schledt, im Frühjahr sind in Münster einige größere Bauprojekte gestartet. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Kläranlage: Was passiert da?

Kaum jemandem ist bewusst, wie wichtig eine moderne, energieeffiziente Kläranlage ist. Die Kläranlage ist für mich „wie die Nieren“ einer Kommune. Ohne sie funktioniert gar nichts. Am Betriebsgebäude hat sich seit dem Bau 1987 nichts mehr getan, technisch hat sich im Klärbetrieb aber vieles verändert, ist komplexer geworden. Eine reine Sanierung reicht daher nicht aus: Das Gebäude wird um ein Stockwerk in Holzbauweise aufgestockt, wärmegedämmt und erhält eine Photovoltaikanlage, die Arbeiten starten diesen Monat. Zwar müssen wir mit Kosten in Höhe von insgesamt 1,4 Millionen Euro viel Geld in die Hand nehmen, doch das lohnt sich: Als größter Stromfresser der Kommune kann die Kläranlage durch die Sanierung künftig rund 20 Prozent Energiekosten sparen. Davon profitieren alle Bürgerinnen und Bürger, denn die Abwassergebühren sind in Münster – im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen – stabil, konnten zuletzt sogar leicht gesenkt werden.

An einem weiteren Großprojekt kommt wohl niemand vorbei: Es geht um die Straßen.

Ja, auch da tut sich 2023 einiges. Viele Straßen in Münster und Altheim sind marode, das zeigt sich nicht nur überirdisch an Schlaglöchern und Rissen. Wir sind in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen, Kanäle und Leitungen wachsen aber leider nicht automatisch mit. Die Friedrich-Ebert-Straße ist ein gutes Beispiel dafür, hier haben die Arbeiten im Frühjahr begonnen. Die Sanierung der Friedrich-Lehr-Straße in Altheim ist weit fortgeschritten. Auch die Mozartstraße und der Endausbau „Am Mäusberg“ werden dieses Jahr abgeschlossen. Im Neubaugebiet „Am Seerich“ läuft der Straßen-Endausbau auf Hochtouren, auch der von vielen herbeigesehnte Lebensmittelmarkt rückt näher.

Solche grundlegenden Straßensanierungen sind sehr teuer und können nicht vollständig aus dem Haushalt der Gemeinde finanziert werden. Wie genau werden die Kosten umgelegt?

35 Prozent der Kosten werden direkt über den Gemeinde-Haushalt finanziert. Damit zahlt Münster übrigens freiwillig einen deutlich höheren Eigenanteil als vorgeschrieben, um die Belastung für die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten. 65 Prozent der Kosten werden umgelegt. Wir nutzen dafür das faire und solidarische Prinzip der „wiederkehrenden Straßenbeiträge.“ Bis 2013 gab es für die Gemeinde ausschließlich die Möglichkeit, einmalige Beiträge zu erheben, die nur durch die direkten Anlieger einer Straße getragen werden mussten. Das hätte für den Einzelnen mitunter einen extrem hohen finanziellen Aufwand bedeutet – ein unfaires System, da die Straße ja nicht allein von diesen Anliegern genutzt wird, sondern von den allermeisten im Ort. Vor allem bei viel befahrenen, wichtigen Verkehrsadern. Bei den wiederkehrenden Beiträgen wird die finanzielle Last auf deutlich mehr Schultern verteilt.

Apropos Kosten: Hohe Energiepreise und Inflation sind für jeden einzelnen, aber auch für Kommunen eine Belastungsprobe. Vielerorts werden freiwillige Leistungen gestrichen. Wie sieht es in Münster aus?

Ja, auch die Städte und Gemeinden haben mit den hohen Kosten zu kämpfen. Mir ist in diesen unsicheren Zeiten Kontinuität bei den freiwilligen Leistungen wichtig. Wir investieren in diesem Jahr bewusst so viel in die Vereinsförderung. Vereine, Jugendförderung, Soziales und Kultur sind wesentliche Ankerpunkte gesellschaftlichen Zusammenlebens gerade in kritischen Zeiten und für den sozialen Zusammenhalt wichtiger denn je.

Besonders belastet hat die kommunalen Haushalte die stark gestiegene Kreis- und Schulumlage. Für Münster bedeutet dies Mehrkosten in Höhe von 1,8 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Woher nehmen wir dieses Geld?

Ohne diese zusätzliche Belastung hätten wir in Münster für 2023 sogar einen nahezu ausgeglichenen Haushalt gehabt. Nun liegt unser geplantes Defizit bei 1,9 Millionen Euro. Um die Mehrkosten auszugleichen, müssen wir stärker auf unsere außerordentlichen Rücklagen zurückgreifen, also auf eine Art „Notgroschen“. So verhindern wir, dass wir unsere Bürgerinnen und Bürger zusätzlich belasten müssen – andere Kommunen tun das längst. Diese außerordentlichen Rücklagen sind aber begrenzt. Für die Zukunft kann leider niemand ausschließen, dass auch wir irgendwann gezwungen sein werden, an der einen oder anderen Stellschraube zu drehen, denn die Gesamtlage bleibt unberechenbar.

Die Kreis- und Schulumlage kostet aber nicht nur Geld, sondern Münster profitiert auch davon. Inwiefern?

Der Landkreis erbringt große Leistungen, die in dieser Diskussion leider zu oft untergehen, etwa bei der Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten. Wir haben mit der Schule Auf der Aue außerdem eine hochmoderne Bildungseinrichtung in Münster – die Sanierungskosten liegen bei über 30 Millionen Euro! – und wir bekommen mit der Erweiterung der John-F-Kennedy-Schule die größte Grundschule im Landkreis. Auch beim Waldbrand 2022 nahe der Muna ist der Landkreis, der die Einsatzleitung übernommen hat, für erhebliche Kosten aufgekommen, da nicht nur Münster betroffen war, sondern auch der Wald auf Dieburger und Eppertshäuser Gemarkung in Gefahr war. Wären wir allein auf diesen Kosten sitzen geblieben, hätte uns das einige Probleme bereitet.

Ein weiteres großes Thema ist die Digitalisierung der Kommunen. Was konkret tut sich hier in Münster?

Im Januar sind wir dem „Zweckverband Gemeinschaftskasse der Gemeinden des Landkreises Darmstadt-Dieburg“ beigetreten. Damit wurde auf einen Schlag der gesamte Rechnungs- und Zahlungsverkehr der Verwaltung digitalisiert – das ist schon eine kleine Revolution. Dieser Schritt sorgt für mehr Effizienz, die Dienstleistungen und Rechnungen der Firmen werden schneller bezahlt und langfristig sparen wir durch natürliche Fluktuation Personalkosten, denn es wird insgesamt weniger Personal benötigt. Außerdem bauen wir unser digitales Rathaus kontinuierlich aus, immer mehr Anliegen im Bürgerservice können digital beantragt werden, die Online-Terminbuchung hat sich längst schon etabliert. Das spart Zeit und Ressourcen – ein Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger und für unsere Mitarbeitenden gleichermaßen.

An anderer Stelle wird Personal händeringend gesucht: nämlich bei den Kitas, oder?

Absolut, pädagogische Fachkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher werden dringend gebraucht, uns geht es da nicht anders wie fast allen Städten und Gemeinden derzeit. Es laufen immer wieder aktuelle Ausschreibungen über das Portal „Interamt“ und ich lade alle Interessierten herzlich ein, sich zu bewerben.

Welche Neuigkeiten für Eltern gibt es aus den Kitas in Münster?

Wir planen derzeit die Erweiterung unseres Ü3-Betreuungsangebot um eine weitere Naturkita-Gruppe. Wir sind optimistisch, schon bald mit 20 neuen Kitaplätzen zu starten. Damit erreichen wir einen Deckungsgrad von fast 90 Prozent im Ü3-Bereich. Im U3-Bereich verfehlen wir die Kreisvorgabe für einen Versorgungsgrad von 40 Prozent derzeit noch knapp und wir wissen, was für eine große Herausforderung das für Eltern ist, die dringend auf einen Betreuungsplatz angewiesen sind. Doch auch da sind wir dran. Der Neubau der Kita Sonnenblume soll mit zwei weiteren U3-Gruppen geplant werden. Hiermit würden wir dann einen Deckungsgrad von 45,6 Prozent erreichen – das würde sogar über unserem selbstgesteckten Ziel von 43 Prozent liegen.

Trotz aller Fortschritte – immer wieder kommen Menschen auf Sie zu, die sagen: Es gäbe doch noch so viel mehr zu tun in Münster und so viele Stellen, an denen Geld dringend gebraucht würde. Was antworten Sie ihnen?

Ich verstehe das absolut. Wenn man sich einen kommunalen Haushalt so anschaut, erscheinen einige Positionen sehr groß und man könnte meinen, es müsste doch sehr viel mehr Geld für alles Mögliche da sein. Aber beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass der Handlungsspielraum eines Bürgermeisters oder auch einer Kommune insgesamt sehr begrenzt ist. Denn unser Haushalt besteht zum allergrößten Teil, über 80 Prozent, aus sogenannten Pflichtleistungen – also gesetzlich vorgeschriebenen Aufwendungen etwa für Kinderbetreuung (dieses Jahr allein 4,4 Millionen Euro), Ver- und Entsorgung (2,1 Millionen Euro), Sicherheit und Ordnung (1,3 Millionen Euro) oder wie schon erwähnt der große Batzen Kreisumlage (8 Millionen Euro ) und Schulumlage (4,4 Millionen Euro). Daran lässt sich nicht rütteln. Es bleiben also nur 20 Prozent für alle sogenannten freiwilligen Leistungen übrig, darunter fallen wichtige Bereiche wie Jugendförderung, Seniorenarbeit, Vereine, Kultur, Wirtschaftsförderung und mehr. Manchmal wäre es schon schön, mehr finanziellen Spielraum zu haben, denn man kann nie allen Bedürfnissen zugleich gerecht werden.

Wir haben jetzt viel über dieses Jahr gesprochen. Zum Schluss ein kurzer Ausblick: Welche Herausforderung für Münster sehen Sie in den kommenden Jahren?

Unser beschränkter finanzieller kommunaler Handlungsspielraum in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit hohen Kosten wird uns weiterhin sehr beschäftigen und das Haushalten nicht einfacher machen. Der Krieg in der Ukraine und die vielen weltweiten Krisen und Konflikte treiben immer mehr Menschen in die Flucht, die Auswirkungen spüren wir bis hier. Es stehen wichtige Entscheidungen über einige gemeindeeigene Liegenschaften an, die nicht leicht werden. Aber es gibt vieles, das mich optimistisch stimmt. Ob Corona, Waldbrand oder Ukraine-Krieg: Münster hat in den letzten Jahren mehrfach bewiesen, dass wir in schwierigen Zeiten zusammenhalten und dass die Solidarität untereinander sehr groß ist. Daher bin ich mir sicher, dass wir für alle kommenden Herausforderungen gewappnet sind.

Bildunterschrift: In Münster werden 2023 einige Großprojekte angepackt. Fotos: GM/Meike Mittmeyer-Riehl